Abschied

Einen wunderschönen guten Abend meine Damen und Herren……
Ein Satz, der mich nachdenklich stimmt, der mich bei jedem Konzert erinnert, an die vielen Augenblicke in den letzten Jahren unser aller Leben und meines Lebens mit Günter Vogel. Es sind schöne Augenblicke und Erinnerungen – die – kann mir keiner nehmen.
Ich kann die Erinnerungen, die ich habe, nur aus meinem Blickwinkel erzählen. Ich erinnere mich in Bildern, wie in einem Film, ich muss lachen, wenn ich an ihn denke. Mein Blickwinkel ist der aus der Gitarre. Jeder von uns im Orchester hat seinen eigenen Blickwinkel auf ihn und seine eigenen Erinnerungen an ihn. Wir als Orchester haben einen besonderen Blickwinkel genießen dürfen: Wir haben ihn immer von vorne gesehen. Die anderen nur von hinten. Es war manchmal sehr schwer, sich seinem Humor zu entziehen und auf der Bühne ernst zu bleiben. Er brachte damit die Ruhe auf die Bühne. Er war der wichtigste und zugleich zweitwichtigste Mensch beim Konzert. Einmal als Dirigent und in einer anderen Rolle: Er war es nämlich, der den Vorhang öffnete und so überhaupt den Weg für die Musik frei machte. 2010, zu seinem Abschiedskonzert, fehlte er – Mein Blick ging zu der Stelle, an der er sonst stand, die Stelle war leer. Du fehlst uns!
Ein Jahr später konnte er sich aktiv von uns verabschieden und seinen Dirigentenstab nach dem ersten Stück übergeben. Wir haben uns sehr schwer getan, einen Nachfolger zu finden und diesen zu akzeptieren. Wer könnte ihn ersetzen. Die Fußstapfen, die er hinterlassen hat, sind riesig, besonders im Hinblick auf seine Füße, auf die man als Gitarrist in der ersten Reihe einen guten Blick hat. Dabei erinnere ich mich auch an seine Schuhe, er hat immer ausgesprochen pfiffige Schuhe getragen. Ich denke eben in Bildern.
Auch heute noch, wenn wir spielen, denke ich manchmal, das hat Günter anders gemacht – aber ich habe von Pavel auch schon die Frage gehört, wie hat er das denn gemacht. Es war eine schöne Übergabe – und so wie ich das erlebt habe, eine glückliche Übergabe, da Günter einen Nachfolger gesehen hat, der sein Lebenswerk weiter führen kann und sein Orchester weiter entwickeln und ausbilden wird. Er hat sich sichtlich gefreut, dass es weiter geht. Ein gutes Gefühl.
Damals:

Ich war 14 Jahre alt, als ich in das Orchester kam. Es hat ewig gedauert, bis ich verstanden habe, was er da vorne eigentlich macht. Das erklärt einem ja auch keiner. Ich fragte damals Hermann, ob der Dirigent denn hören würde, wenn einer falsch spielt, bei so vielen Leuten. Hermann wurde ernst und sagte: Gerade in der Gitarre hört er das. Irgendwann habe ich das dann auch bemerkt. Keiner konnte so die Augenbrauen hochziehen und mit einem Auge in die Richtung des falschen Tons gucken. Vielleicht war ein Grund für sein gutes Hörvermögen folgender: Er hatte, und das ist mir erst viele Jahre Später aufgefallen, sehr große Ohren, mit denen er bis zum Schluss unseren Klängen auf den Spuren war. Bei manchen Stücken, die er 20 Jahre zuvor geschrieben hatte, fiel ihm nach so langer Zeit auf, dass er noch etwas Kleines, und sei es nur eine Note verändern müsse. Bilder von Proben, die ich sehe.
Günter war einer von den alten Menschen, mit denen man gerne zusammen war. Er hat sich zeitlebens weiter entwickelt, seine Erfahrungen weiter gegeben und die jüngeren sich entwickeln lassen. Er hatte ein unheimliches Talent, seine musikalische Vorstellung weiter zu vermitteln. Als Dirigent lebte er die Musik. Man konnte aus seinen Bewegungen erahnen, was folgt. Er ging mit der Musik, und man folgte ihm gerne. Oft auch soweit, dass er voller Humor grinsend sagte, was spielt ihr das denn auch so wie ich dirigiere, ihr wisst doch wie es richtig ist.
Ganz früher:

Seine erste Probe, aus der Erinnerung von Gertrud: Sie kam, wie das damals wohl gelegentlich schon mal öfter vorkam, etwas später und fand einen Mann vor dem Probenraum, der mit einem Ohr an der Tür lauschte. Es schien ihm zu gefallen. So sehr, dass er 42 Jahre lang mit uns verbunden blieb. In unserer Erinnerung wird er unvergessen bleiben.
Ich hatte das Gefühl, wir gehören mit zu seiner Familie, der ich hier danken möchte, dass ihr ihn immer unterstützt habt so das er uns 42 Jahre begleiten konnte. Eine Familie, zu der man sich hingezogen und herzlich aufgenommen fühlt.
Ich habe ihn gemocht, diesen kleinen Mann mit großer Wirkung.
Lieber Günter, ich muss mich verabschieden. Da, wo Du jetzt bist, ist schon ein großes Orchester. Nimm sie nicht so hart ran und bitte habt alle viel Freude mit der Musik, mit Deiner Musik.

Michael Heinsen, Trauerrede vom 16.05.2013